WIRTSCHAFT 10

WIESBADEN IV

DOKUMENTATION 7

KULTUR-TESTSEITE VI

Kinderwunsch kann oft erfüllt werden

Die Behandlung von Frauen, die ungewollt kinderlos bleiben, wird immer erfolgreicher. Ärzte können heute rund 60 Prozent der schätzungsweise 1,5 Millionen Paare in Deutschland, die vergeblich auf Nachwuchs hoffen, ihren Kinderwunsch erfüllen. Das erklärte der Bonner Frauenarzt Prof. Klaus Diedrich bei einer Informationstagung seines Berufsverbandes in Hamburg.

Eine ärztliche Beratung erscheine angezeigt, wenn trotz des Kinderwunsches auch nach zwei Jahren noch keine Schwangerschaft besteht. Bei 40 Prozent der kinderlosen Paare würden bereits einfache Mittel und etwas Geduld helfen, zum Beispiel die Feststellung der fruchtbaren Zeit, also des Eisprungs der Frau mit Hilfe eines Thermometers.

Erst wenn eine Beratung durch den Frauenarzt oder einfache Behandlungsverfahren nicht helfen könnten, sei eine Reihe weiterer Methoden möglich bis hin zur künstlichen Befruchtung des Eies außerhalb des Körpers. Weltweit gibt es derzeit bereits rund 30 000 Kinder, die auf diese Weise gezeugt worden sind. In Deutschland wird das Verfahren nur bei Ehepaaren und ausschließlich mit dem Samen des Ehemannes angewendet, sagte Diedrich. Die Kosten liegen pro erzielter Schwangerschaft bei durchschnittlich 20 000 Mark. dpa

1

FR-Serie über "Mädchen im Handwerk" (Dritter Teil) / Die Schneiderin: Nur geringe Verdienstmöglichkeiten Meisterinnen über Nadel und Faden Garderobe nach Maß ist vielen zu teuer / Keine Lehrstellen im Wetteraukreis

FLORSTADT. Kostüm oder Mantel, Jacke oder Kleid, wer Mode von der Stange möchte, findet im Wetteraukreis in Boutiquen, Kaufhäusern und Jeans- Stores ein reichhaltiges Angebot. Doch wer Garderobe nach Maß aus einer Meisterwerkstatt sucht, ob das "kleine Schwarze" für den Abschlußball oder die Garderobe für die Braut, hat es schwer: Das Handwerk des tapferen Schneiderleins stirbt auch im Wetteraukreis aus. Einst bei Männern und Frauen gefragt - noch 1983 zu Zeiten hoher Jugendarbeitslosigkeit hatte die Ausbildungsstätte für Damenschneiderinnen der Evangelischen Familienbildungsstätte Friedberg weit mehr Nachfragen als letztlich positiv beantwortet werden konnten -, ist der Beruf der Damenschneiderin heute wenig lukrativ: selten geregelte Arbeitszeit, niedriges Einkommen, geringe Weiterbildungschancen.

Carolin Adamofsky aus Nieder-Mockstadt und Christiane Scholz aus Bleichenbach haben sich dennoch dafür entschieden. Beide besuchten überbetriebliche Ausbildungsstätten der Kreishandwerkerschaft, die 1984 initiiert wurde, um den Mitte der 80er Jahre herrschenden Lehrstellenmangel - insbesondere für Mädchen - im Wetteraukreis auszugleichen. 31 Mädchen mit Sonderschul-, Haupt- und Realschulabschluß nähten damals in zwei Räumen in der Raiffeisenstraße 8 in Friedberg für soziale Zwecke, Konfirmationsanzüge wie Vereinsuniformen.

Carolyn und Christiane aber sind die beiden einzigen, die nach der Gesellenprüfung vor der Handwerkskammer Wiesbaden den Entschluß faßten, es in ihrem Handwerk zur Meisterschaft zu bringen. Vor einigen Wochen haben beide auch die theoretische Abschlußprüfung abgelegt. Noch haben sie den Meisterbrief nicht in der Hand, aber sie wissen es bereits: "Bestanden."

Eine lange Durststrecke liegt hinter ihnen, die sie ohne Unterstützung der Familie nicht hätten bewältigen können. 106 Mark verdiente die heute 26jährige Carolin im ersten Lehrjahr, 285 Mark im dritten. "Das hat gerade für den Sprit gereicht", sagt sie. Noch einmal rund 7000 Mark mußten die beiden jungen Frauen nach der Lehre aufbringen, um ihr Ziel zu verwirklichen. Da es keine Damenschneiderei im Wetteraukreis gab, die sie hätte zur Meisterin ausbilden können, nahmen sie an einem Kurs der Handwerkskammer Kassel teil: Zunächst vier Wochen Vollzeit im April vergangenen Jahres, dann bis Oktober dreimal wöchentlich abends und samstagsvormittags. Heute sind sie praktisch wie theoretisch firm, vom Kreuzstich bis zum Plissieren. Obwohl sie optimistisch in die Zukunft sehen, erklären beide, "empfehlen können wir nicht, in diesen Beruf einzusteigen."

Christiane Scholz erklärt warum: "Bei einer Kalkulation für mein Meisterstück, ein 1200 Mark teures Kostüm, habe ich 20 Mark brutto als Stundenlohn berechnet." Rund 53 Stunden mußte sie dafür aufwenden, Anproben nicht mitgerechnet. Sie will sich dennoch selbständig machen, vorerst in ihrer Wohnung, später einmal in Geschäftsräumen eines noch zu bauenden Hauses. Dort könnten dann auch Lehrlinge das Schneiderhandwerk erlernen. "Ich will auf jeden Fall jemanden ausbilden", sagt die frischgebackene Meisterin, die zur Zeit an einem ärmellosen Kleid für ihre Großmutter näht und ihren Materialfundus gerade um ein großes Sortiment Knöpfe erweitert hat. Ihre Kollegin Carolyn Adamowsky macht erst einmal Urlaub, viel Selbstgenähtes im Koffer. CORINNA WILLFÜHR

WIRTSCHAFT 11

Schatzsuche im 19. Jahrhundert Frankfurts Bibliotheken beteiligen sich am Nationalarchiv

Die Stadt- und Universitätsbibliothek und die Senckenbergische Bibliothek arbeiten seit 1990 in dem von der Volkswagenstiftung finanzierten Projekt "Sammlung deutscher Drucke 1450 - 1912". Beteiligt sind vier weitere deutsche Bibliotheken in München, Wolfenbüttel, Göttingen und Berlin. Ziel des Projekts ist es, Lücken in den Beständen der fünf Bibliotheken durch antiquarische Käufe zu schließen und somit der Forschung ein zwar dezentral angelegtes, aber in sich geschlossenes Nationalarchiv gedruckter deutscher Texte zur Verfügung zu stellen.

Jede der beteiligten Institutionen sammelt Drucke aus einem bestimmten Zeitraum und Sachgebiet. Für die Frankfurter Büchereien ist dies die Zeit von 1801 bis 1870, wobei die Stadt- und Universitätsbibliothek den Sammelschwerpunkt deutsche Literatur und deutsche Geschichte sowie Geisteswissenschaften hat und die Senckenbergische Bibliothek Alte Medizin und Biologie - ohnehin die traditionellen Sammelgebiete der beiden Einrichtungen.

Bereits 1990 konnten die Frankfurter Bibliotheken für knapp 700 000 Mark rund 1800 Drucke aus dem 19. Jahrhundert antiquarisch erwerben. 1991 wurden die Bestände um 2000 Titel in 2770 Bänden erweitert, wofür 800 000 Mark ausgegeben wurden. Unter den Anschaffungen befinden sich Werke von Wilhelm Hauff, E.T.A. Hoffmann, Johann Bachofen, Ludwig Richter und anderen bedeutenden Autoren und Wissenschaftlern.

Nicht nur Originalwerke wurden erworben, auch 4700 Mikrofiches und Mikrofilmrollen mit Werken aus dem 19. Jahrhundert wurden von kommerziellen Anbietern erstanden oder im Auftrag der Bibliotheken angefertigt. Darunter befinden sich neun literarische Zeitschriften (unter anderen "Weimarer Sonntagsblatt", "Telegraph für Deutschland", "Freya") mit insgesamt mehr als 30 000 verfilmten Seiten.

Die meisten dieser Zeitschriftentitel waren bislang an keiner deutschen Bibliothek als vollständige Reihe nachgewiesen. In Zusammenarbeit mit anderen Bibliotheken konnten vollständige oder halbwegs vollständige Reihen zusammengestellt und zur Verfilmung weitergeleitet werden. Diese Titel sind nun an der Stadt- und Universitätsbibliothek in Form von Mikrofilmen benutzbar.

Beim Kauf zeigt sich allerdings auch immer wieder, daß das Angebot an Drukken aus dem 19. Jahrhundert auf dem Antiquariatsmarkt sehr reichhaltig ist und bei weitem nicht in dem Maße abgeschöpft werden kann, wie dies im Hinblick auf Vollständigkeit und Lückenlosigkeit der Sammlungen wünschenswert wäre. Trotz der hohen Bestandsdichte an den beiden Frankfurter Bibliotheken kann lämgst nicht von einer Sättigung des Bedarfs gesprochen werden. Gerade das 19. Jahrhundert mit seinen technischen Neuerungen und der Industrialisierung der Buchproduktion hat eine ungeheure Titelflut hervorgebracht (nach vorsichtigen Schätzungen allein in den ersten 70 Jahren weit über 500 000 Titel).

Deshalb kann nur die Weiterführung des Projektes über die fünf von der VW- Stiftung geförderten Jahre hinaus gewährleisten, dem Anspruch der Sammlung deutscher Drucke annähernd gerecht zu werden. Die weitere Finanzierung wurde schon von den Unterhaltsträgern der Stadt- und Universitätsbibliotheken beantragt, um das Projekjt deutsche Nationalbibliothek voranzutreiben. pia

Folgen des Kolonialismus gemeinsam beseitigen Kreis fördert den Gemüseanbau in Guinea-Bissau

WETTERAUKREIS. Seit die Einsicht wächst, daß die steigende Zahl von Asylbewerbern nur zu senken ist, indem die Fluchtursachen bekämpft werden, genießt die Entwicklungshilfe neues Interesse. Und das ist gut so. Im vergangenen Jahrzehnt weitgehend ignoriert, steht das Verhältnis von Nord und Süd heute mit nie gekannter Dringlichkeit auf der Tagesordnung. Will der Planet überleben, müssen Ökologie und Entwicklung eine Synthese eingehen. Gefordert sind neue Formen der Zusammenarbeit - und das nicht nur auf nationaler Ebene. Der Wetteraukreis leistet dabei Schrittmacherfunktion: Als einer der ersten Kreise engagierte er sich entwicklungspolitisch.

Konkret heißt das: Wie in den drei Vorjahren stellt der Wetteraukreis auch 1992 wieder 20 000 Mark für ein Frauenprojekt des Weltfriedensrates (Berlin) in Guinea-Bissau bereit. Vize-Landrätin Gila Gertz (Grüne): "Der Betrag ist trotz der angespannten Finanzsituation des Kreises entbehrlich und für die Menschen in Boé stellt er eine wichtige Unterstützung dar." Dort, in der abgeschiedenen südöstlichen Ecke der früheren portugiesischen Kolonie, hilft das Geld aus der Wetterau mit, den Frauen durch den Anbau von Gemüse - traditionell eine Frauenarbeit - den Rücken zu stärken.

Aus der Sicht von Gertz hat das entwicklungspolitische Engagament des Kreises drei Vorteile gegenüber der offiziellen Entwicklungshilfe:

• die Investitionen können direkt mit dem Empfänger verabredet werden;

• Verwaltungs- und Verteilungskosten fallen kaum an; und

• Verbleib und Einsatz der Mittel ist nachvollziehbar und kontrollierbar, was die Leistungsmotivation auf beiden Seiten erhöht.

Im Unterschied zu innereuropäischen kommunalen Partnerschaften steht bei diesen Formen der Entwicklungszusammenheit die direkte Begegnung der Menschen nicht im Vordergrund. Doch es wäre schön, findet die Grünen-Politikerin, wenn dadurch etwa die Fort- und Weiterbildung von Menschen aus der Partnerkommune gefördert werden könnte.

Der Wetteraukreis beschränkt sich bislang auf einen finanziellen Zuschuß. Er soll mithelfen, die Stellung der Frau in dem 1974 unabhängig gewordenen Land zu stärken. Die ist traditionell eher schwach: Die Vielweiberei ist weitverbreitet und der übliche Weg für Männer, sich billige Arbeitskräfte für die Felder zu sichern. Scheidenlassen können sich die Frauen kaum. Sie würden damit an den Grundpfeilern der Gesellschaft rütteln und hätten auch kaum das Geld, um den Brautpreis zurückzuzahlen.

Begründet wird das entwicklungspolitische Engagement des Kreises mit den rot-grünen Koalitionsvereinbarungen von 1985. Damals beschlossen SPD und Grüne, Entwicklungspolitik auch auf Kreisebene zu verankern. Klaus Kissel sieht das noch heute als politischen Meilenstein an. "Wir waren einer der ersten Kreise in der Bundesrepublik, der dafür Gelder im Haushalt eingeplant hatte", sagt der 42jährige, der seinerzeit für die Grünen im Kreistag saß. "Andere Kommunen und Kreise haben später nachgezogen und sich dabei auf uns berufen."

Nicaragua bewegte seinerzeit die Gemüter. Im Rahmen der rot-grünen Landespolitik - Hessen war offiziell eine Partnerschaft mit der "Provinz 4" eingegangen - suchte sich der Kreis ein kleine Landschule aus. Sie wurde in den folgenden Jahren für 25 000 Mark renoviert, ausgebaut und mit sanitären Anlagen versehen. Dagegen schoß von Anfang an die CDU: Erstens, weil in Nicaragua die Roten das Sagen hatten, und zweitens, weil Entwicklungspolitik aus iher Sicht eine Aufgabe des Bundes, und nicht der Kommunen oder Kreise ist.

Seither haben sich die Wogen etwas gelegt, was sicher auch an den Nachfolgeprojekten liegt, die sich der Kreis aussuchte: ein Kalkbrennofen auf den Cap Verden (15 000 Mark), und seit drei Jahren: das Gemüseprojekt in Guinea- Bissau. In allen Fällen kam es der rot- grünen Mehrheit darauf an, mit den Investitionen zusätzliche Entwicklungsimpulse zu geben: "Hilfe zur Selbsthilfe".

Mitte der 80er Jahre ging es vor allem darum, überhaupt erst mal einen Anfang zu machen. Und wie sieht die Zukunft aus? Eine auch menschlich engere Zusammenarbeit würde sich Kissel wünschen. Das dafür nötige Geld, findet er, könnte man ja aus den Haushaltsposten herausholen, die keine Zukunftsperspektive hätten: etwa der Straßenbau.

Egal wie es kommt. Am jetzigen Projekt in Guinea-Bissau möchte Waltraud Schönfeld (SPD) auch die kommenden Jahre festhalten. "Märkte und Lagerkapazitäten müssen vor Ort noch aufgebaut werden und außerdem kann man bei diesem Projekt davon ausgehen, daß es auch bei anderen politischen Mehrheitsverhältnissen im Kreis weiterlaufen kann." Wünschen würde sie sich allerdings eine bessere Öffentlichkeitsarbeit und ein stärkeres privates Engagement in der Sache.

Für Gila Gertz ist die jetzige finanzielle Hilfe zunächst einmal das Eingeständnis, daß denen geholfen werden müsse, denen es schlechter geht. Als Almosen sei das allerdings nicht zu verstehen: "Der Wohlstand des Nordens wie auch die Armut des Südens sind Produkte des Kolonialismus, vor dessen Konsequenzen wir heute nicht die Augen verschließen dürfen." NORBERT GLASER

"Brot für die Welt zeigt nur die Not" Evangelischer Arbeitskreis Weltmarkt denkt über Ursachen des Elends nach Von unserem Mitarbeiter Norbert Glaser

BAD NAUHEIM. Columbus' Fahrt nach Westen 1492 hat das Gesicht der Welt verändert. Doch was in die Geschichtsbücher der "Alten Welt" als "die Entdeckung Amerikas" einging, war für die Bewohner der neuen Kontinente der Auftakt einer beispiellosen Eroberung. Die Folgen wirken bis heute nach: Armut, Elend, wirtschaftliche Abhängigkeit, zerstörte oder zerrüttete soziale, ökonomische und politische Verhältnisse . . . Von der damals begründeten internationalen Machtverteilung profitieren wir bis heute.

Grund genug für die evangelische Kirche, sich bereits im Verlauf der jüngsten Aktion "Brot für die Welt" an das geschichtsträchtige Datum heranzuarbeiten: "Als europäische Christen sind wir aufgerufen, des Leidens und Unrechts zu gedenken, daß die Begegnung mit Europa den Völkern Lateinamerikas gebracht hat", sagt Pfarrer Dr. Ulrich Becke. 500 Jahre "Entdekkung" Amerikas. Das heißt für den Geistlichen vom Bad Nauheimer "Gemeindezentrum Wilhelmskirche" auch, zur Umkehr und Wiedergutmachung zu mahnen.

In der evangelischen Kirchengemeinde der Kurstadt ist das Thema nicht ganz neu: Bereits seit einigen Jahren beschäftigen sich dort zwei Gruppen mit den Problemen der "Dritten Welt": "Brot für die Welt" und der "Arbeitskreis Weltmarkt". Im Frühjahr beschlossen sie auf einem gemeinsamen Treffen, sich im Sinne der vergangenen Fastenaktion an den "Feierlichkeiten" des Jubiläums zu beteiligen: "Den Armen Gerechtigkeit - 500 Jahre Eroberung und Widerstand Lateinamerikas". Außerdem klinkten sie sich in den bundesweiten Aktionstag der entwicklungspolitischen Gruppen am 30. Mai ein. Ein Vortragsabend wurde organisiert, bei dem eine Lehrerin über ihren Aufenthalt in Kolumbien erzählt. Und ein moderner Kreuzzug geplant, um in der Passionszeit an das Leiden der Menschen auf dem Doppelkontinent zu erinnern. Weiterhin vorgesehen ist, im Laufe des Jahres noch über Lehrerinnen und Lehrer auch gezielt Kinder und Jugendliche anzusprechen.

"Gerade diese Arbeit hat sich als besonders fruchtbar erwiesen", sagt Ursula Leichtweiß, Lehrerin und Mitglied des "Arbeitskreises Weltmarkt". "Die Kinder werden in der Schule oder im Gottesdienst mit den Problemen der Dritten Welt konfrontiert. Was sie gehört und gesehen haben, erzählen sie daheim, und so zieht das Thema weitere Kreise."

Seit vier Jahren gibt es den Arbeitskreis. Die Lehrerin macht von Anfang an mit: "Die Gruppe hat sich seinerzeit im Friedenskreis aus einer Andacht heraus gebildet", erzählt Leichtweiß. Damals ging es um Lateinamerika und insbesondere um die Situation elternloser Kinder. Heute dreht sich die Arbeit der sechs bis sieben Aktiven vor allem um zwei Dinge: den Verkauf von "Dritte Welt"-Waren einmal im Monat nach dem Sonntagsgottesdienst und der Informationsarbeit.

"Wir verkaufen nicht einfach die Sachen der GEPA (der "Gesellschaft zur Förderung der Partnerschaft mit der Dritten Welt"), wir beschäftigen uns auch damit", sagt Leichtfuß. Erleichtert wird dies durch umfangreiche Informationsschriften, die die GEPA - eine von den beiden großen christlichen Kirchen getragenen Genossenschaft - für alle ihre Waren erstellt. Eine praktische Folge der Diskussionen in der Gruppe: Am Beispiel Peru wurde die Situation eines Landes der "Dritten Welt" in der Kirchengemeinde problematisiert.

Aber auch bei den einzelnen Mitgliedern des Arbeitskreises blieb die Beschäftigung mit der "Dritten Welt" nicht ohne Folgen. Kritik äußert Leichtweiß heute auch an den eigenen Organisationen. ",Brot für die Welt' zeigt auch nur die Not, wo es doch darauf ankäme, die Ursachen des Elends offenzulegen. Die haben wir historisch verursacht. Und heute tragen wir durch unser Verhalten dazu bei, sie fortzuschreiben."

Emotional näher als Lateinamerika steht den Mitgliedern des Arbeitskreises Amritsa in Nordindien. Die Stadt mit dem goldenen Tempel der Sihks ist die Partnerdiözese der Propstei Oberhessen. Was in der evangelischen Kirchengemeinde Bad Nauheim durch den Verkauf von GEPA-Waren hereinkommt, geht zumeist dorthin. In Amritsa wird mit dem Geld eine Schule für Kastenlose unterstützt.

Und wie ist es um den Kontakt zwischen den Menschen bestellt? Ein "Gemeinde-Tourismus" war nie geplant, sagt Pfarrer Becke. Im Laufe der Jahre seien aber auf kirchlicher Ebene einige Kontakte zwischen den beiden Regionen geknüpft worden. Zum Nutzen von beiden Seiten: "Es ist für alle Beteiligten lehrreich, wenn so unterschiedliche Kulturen zusammenprallen", sagt Bekke. "Wer sieht, daß Altersheime für unsere indischen Gäste ähnlich exotisch sind, wie für uns die heiligen Kühe, der beginnt nachzudenken."

In diesem Jahr fuhr nun erstmals ein Mitglied des Bad Nauheimer "Weltmarktes" mit nach Indien. Die Wahl fiel auf Ursula Leichweiß. Wie Ihre Mitreisenden - Vertreter verschiedener Berufe aus anderen Gemeinden - kam ihr die Aufgabe zu, nach der Rückkehr als Multiplikator zu wirken. Mit dazu beigetragen hat sicher auch die Möglichkeit,das Leben in Amritsa ungefiltert kennenzulernen. An Pfingsten wurden die Eindrücke nun von zwei Mitreisenden in einen Gottesdienst eingebracht. Die Partnerschaft nach Amritsa wird so küntig sicher noch einen größeren Stellenwert im Leben der Gemeinde gewinnen.

"Zimperlich darf man da nicht sein" FR-Serie "Mädchen im Handwerk": Die Wärme-, Kälte- und Schallschutzisoliererin Von Corinna Willführ

ALTENSTADT. Den Kombi mag Peggy Schweighöfer nicht, lieber zieht sie Jeans und Sweatshirt an, bevor sie ihre Werkzeugtasche nimmt und morgens um Viertel nach sechs zur Baustelle fährt. Peggy Schweighöfer ist Wärme-, Kälte- und Schallschutzisoliererin, noch Gesellin, mit der festen Absicht, in zwei Jahren ihren Meisterbrief in der Tasche zu haben und einmal den Betrieb ihres Vaters zu übernehmen. Dort hat sie auch gelernt, mit Trichterstutzen, Nietzange und Blechschere umzugehen.

Ins Büro zu gehen oder sich hinter die Ladentheke zu stellen, konnte sich die 20jährige nie vorstellen. Daß sie hingegen Rohrleitungen mit Styroporschalen isoliert und auf Drahtgeflechte mit gesteppten Mineralfasern aufbindet, können sich viele Menschen bei der zierlichen jungen Frau nicht vorstellen. Bedenken, die Peggy Schweighöfer mit einem Lächeln aus dem Weg räumt: "Ich habe damit keine Schwierigkeiten. Klar reagieren manche Kollegen auf der Baustelle komisch, weil sie das einer Frau nicht zutrauen, und man muß vieles besser können, um für voll genommen zu werden. Aber das gibt sich."

Skeptisch reagierten schon Peggy Schweighöfers Mitschüler im Ausbildungszentrum in Nidda, wenn sie fürs Mauern, Fliesenlegen, für Holz- und Tiefbau bessere Noten bekam. Dann war es nicht ihre Leistung, die honoriert wurde, sondern "daß ich ein Mädchen war".

Trotzdem hat sich die Lindheimerin durchgesetzt, ist nach der Realschule und der Zeit im Ausbildungszentrum ein Jahr lang nach Darmstadt und Fechenheim gefahren, um sich praktisch und theoretisch ausbilden zu lassen. Im Juni vergangenen Jahres legte sie ihre Gesellenprüfung ab, wurde als einzige Frau Landessiegerin ihrer Berufssparte, Kammerbezirkssiegerin und erste bei der Büdinger Innung der Wärme-, Kälte- und Schallschutzisolierer. Zimperlich, sagt sie, dürfe man und frau in ihrem Beruf nicht sein und Dreck nicht scheuen.

Die von Glaswolle zerkratzten Finger und Schwielen an den Händen nimmt sie für die Abwechslung, die ihr ihr Beruf bietet, in Kauf. Bei Wind und Wetter draußen sein, im Sommer Heizkessel oder im Winter an Rohrleitungen abzudichten, für sie normaler Arbeitsalltag. Wenn sie über einhundert Kilogramm schwere Blechrollen zur Schlagwelle transportieren muß, dann bittet sie einen Kollegen um Hilfe. Das sei problemlos, schließlich sei Kraft nicht alles. Technisches Verständnis, räumliches Vorstellungsvermögen und handwerkliche Fähigkeiten seien wichtig.

Ausschlaggebend für ihren "Traumberuf" war jedoch wohl wesentlich, daß ihr Vater den Wunsch seiner Tochter förderte, denn einen Sohn, der einmal das Geschäft hätte übernehmen können, gibt es nicht. "Die Mädchen, die in einen Männerberuf gehen, kommen meistens dazu, weil es keine männlichen Nachfolger zur Übernahme der Betriebe gibt", bestätigt Heinz Kessler, Geschäftsführer der Kreishandwerker im Wetteraukreis.

"Ich würde mich freuen, wenn ich mehr Mädchen auf den Baustellen treffen würde", sagt die 20jährige. Doch sie bleibt die Ausnahme in ihrem Beruf, wie die KfzMechanikerin, die Heizungsbauerin oder die Werkzeugmacherin, eben jene Frauen, die die Chance haben, das Handwerk im Familienbetrieb kennenzulernen.

Für die Mitarbeiterinnen der Frauengleichstellungsstelle in Friedberg nicht verwunderlich. Denn nur selten werden Mädchen in Familie oder Schule angespornt, "Männerberufe" zu ergreifen. Frauenbeauftragte Birgit Simon: "Mädchen wird ein wesentlich geringeres Spektrum an Berufsmöglichkeiten angeboten, und warum sollen sie etwas wollen, wenn alle sagen, du kannst das nicht." Einen weiteren Verhinderungsgrund für einen größeren Anteil an Mädchen und Frauen an den "männlichen" Handwerksberufen sehen Birgit Simon und ihre beiden Mitarbeiterinnen Margot Bernd und Susanne Hild darin, daß die jungen Frauen nicht wissen, ob sie sich die Situation "allein unter Männern" zumuten sollen.

Birgit Simon plädiert deshalb dafür, "Mädchen nicht blindlings in technische Berufe zu schicken, solange sie nicht eine Arbeitsstelle vorfinden, die ihren Bedürfnissen entspricht."

Um hierfür mehr Bewußtsein unter Lehrern, Meistern und Innungsvertretern zu schaffen, hat Margot Bernd im vergangenen Jahr eine Arbeitsgruppe initiiert, in der Vertreter des staatlichen Schulamtes, der Industrie- und Handelskammer, des Hessischen Instituts für Lehrerfortbildung und die Frauen aus der Gleichstellungsstelle an einem Tisch sitzen.

1

Der Haustyrann

Von Peter Maiwald

Die Tür gefällt ihm nicht. Sie ist ihm zu offen. Die Treppen gehen ihm zu weit. Den Zimmern räumt er nichts ein. Die Fenster sind ihm zu durchsichtig. Die Gardinen nennt er zärtlich: Meine Heimlichtuer. Die Bilder nimmt er von den Wänden und ersetzt sie durch Ohren. Dem Durchgang läßt er nichts mehr durchgehen. Dem Keller wirft er die Unordnung seiner Leichen vor. Dem Parkett nur seine Ausrutscher. Ansonsten trampelt er auf allen Fußböden herum, bis sie sich ergeben. Eine Hausantenne kommt nur in Frage, wenn sie den Gemeinschaftsempfang gewährleistet. Hausieren und individualisieren sind verboten! Bettler werden an die Leine gelegt und müssen draußen bleiben.

Die Müllabfuhr kommt freitags, die Menschenabfuhr dienstags. Geboren wird bei Zimmerlautstärke, gestorben auch. Dazwischen ist die Kehrwoche. Nie kommt er auf seine Kosten, auch wenn er seine Mieter noch so sehr ans Leben vermietet, immer bringen sie zu wenig. Undank ist der Welt Lohn. Nur den Speicher liebt er, die Zukunft der Antiquitätenhändler. Wenn ihm alles zu bunt wird, steigt er den Mietern aufs Dach und befestigt einen von ihnen als Wetterfahne. Das zeigt dann denn anderen, wo's langgeht.FR-Serie über "Mädchen im Handwerk" (Zweiter Teil) / Die Friseurin: "Schön machen" wird immer mehr zur reinen Frauensache Eigener Salon bleibt ein Traum Lehrlinge werden gesucht

FRIEDBERG. "Die Puderpackung gut feucht abnehmen." Kaum ist die Anleitung erfolgt, greifen Mädchenhände fast synchron zu Wattetupfern, streichen die weiße Masse von den Wangen ihrer Mitschülerinnen. Knapp zwanzig Mädchen sind an diesem Dienstag morgen in der Philipp-Reis-Schule dabei, sich auf ihre Gesellenprüfung als Friseurin vorzubereiten. Und zu dieser gehören eben nicht nur die Dauerwelle für die Dame, Schnitt und Frisur für den Herren, sondern auch die kosmetische Behandlung mit Make- up. Sich und andere "schön machen" - eine reine Frauensache?

Das zumindest legt ein Blick in die Lehrlingsstatistik im Wetterauer Friseurhandwerk nahe: Von 179 Auszubildenden am 31. Dezember 1990 waren 168 weiblich und nur elf männlich. Die Friedbergerin Gustl Mangels, Ende der 50er Jahre einzige Obermeisterin einer Friseurinnung in der Bundesrepublik, weiß, daß das nicht immer so war: "Ende der 30er Jahre waren noch etwa die Hälfte der Friseurlehrlinge männlich." Die hohe Arbeitslosigkeit und fehlende Alternativen ließen auch Jungen zu Kamm und Schere greifen. Mit dem Auto und dem aufstrebenden Kfz-Handwerk zogen nach dem Zweiten Weltkrieg jedoch immer mehr junge Männer die Ausbildung zum Mechaniker vor, wurde und wird der Beruf doch eher mit dem Begriff "männlich" assoziiert.

Die jungen Frauen in der dritten Jahrgangsstufe an der Berufsschule haben keine Probleme damit, einen "typisch weiblichen Beruf" zu wählen. Angela Grotz, die in einem Bad Vilbeler Salon arbeitet: "Ich habe nicht viel mit Technik am Hut und möchte mich noch stärker mit Kosmetik beschäftigen." Für die 20jährige Nicole Maier aus Bad Nauheim ist Friseurin ihr Traumberuf, der ihr auch die Möglichkeit gibt, sich später als Visagistin ausbilden zu lassen. Doch bevor die Mädchen den modischen Mob schneiden dürfen, müssen sie im ersten Lehrjahr vornehmlich Haare waschen, Becken säubern und Dauerwellen wikkeln, für einen durchschnittlichen Monatslohn von 506 Mark, etwa 600 Mark weniger als ein Maurerlehrling bekommt, und 504 Mark mehr als Gustl Mangels 1936 im ersten Lehrjahr erhielt.

Geändert hat sich im Friseurhandwerk aber nicht nur das Einkommen. Mußte die heute 71jährige zu ihrer Meisterprüfung 1946 noch Stocklocken mit dem Onduliereisen für die historische Haarpracht der Marie Antoinette drehen und eine komplette Perücke anfertigen, wird heute mehr mit Fön und Chemikalien gearbeitet. Der Umgang mit Blondier- und Färbemitteln ist nicht ungefährlich, vielerlei Sprays belasten die Atemwege. Oberstudienrätin und Fachlehrerin Rosemarie Trippstein: "Die Zahl der Auszubildenden, die im ersten Lehrjahr wegen Allergien ihre Ausbildung abbrechen, nimmt stetig zu." Chemie und wie mit ihr umzugehen ist, gehört deshalb auch zum theoretischen Unterricht.

Bis zum Hauptschulabschluß sollten die Auszubildenden schon vorher die Schulbank gedrückt haben, mittlere Reife ist erwünscht. Dafür sind die Friseurlehrlinge auch gesucht. 28 Lehrstellenangebote im Bezirk Büdingen, 47 weitere im Bezirk Friedberg gegenüber 12 Bewerbern meldet das Arbeitsamt Gießen im Februar. Sewdi Utar, 17jährige Türkin aus Bad Nauheim, kann das wie ihre Mitschülerinnen bestätigen: "Es hat gleich auf Anhieb geklappt."

Bis zur Meisterprüfung bildet sich nur etwa rund ein Fünftel der Mädchen weiter. Ein eigener Salon ist für viele das große Ziel, für die meisten bleibt er ein Traum. CORINNA WILLFÜHR

Vorurteile gegen Mädchen gibt es noch immer Auch den Handwerksmeistern in der Wetterau fällt das Umdenken bei Lehrlingen schwer Von Corinna Willführ

GIESSEN. Wenn ich einen Jungen kriege, warum sollte ich ein Mädchen einstellen? So provokativ die Frage klingt, auch in den Köpfen Wetterauer Handwerksmeister halten sich Vorurteile über das "schwache und das starke Geschlecht". Allerdings sind sie im Wanken, besonders dann, wenn dem Angebot an Stellen zuwenig Bewerber gegenüberstehen: Dann darf es auch ein Mädchen sein, dann wirft so mancher Lehrherr seine Bedenken gegenüber der geringeren Leistungsfähigkeit oder Belastbarkeit weiblicher Auszubildender über Bord.

Allerdings beobachtet Gunther Seeger, Berufsberater beim Arbeitsamt in Gießen, auch einen gegenläufigen Trend. "Gibt es genug Lehrstellen in den von den Mädchen angestrebten Berufen, suchen sie wenig nach Alternativen."

Spitzenposition eins unter den Berufswünschen bei Mädchen nahm im vergangenen Jahr die Ausbildung im Waren- und Dienstleistungsgewerbe, allen voran die Verkäuferin, gefolgt von den Büroberufen und der Ausbildung zur Arzthelferin, ein.

Traumberufe sind das für die meisten jedoch nicht. Gunther Seeger: "Die Mädchen sind realistisch. Wenn der Schulabschluß nicht so gut ist, rechnen sie sich zum Beispiel als Verkäuferin bessere Chancen aus als in den Büroberufen."

Differenziert nach Geschlechtern suchen in der Regel mehr Mädchen die Berufsberatung auf: Im Januar waren es in Büdingen 200 von 386 und in Friedberg 206 von 427. Allerdings, Das Elternhaus stellt meist schon die Weichen so Berufsberater Seeger, steht gerade den jungen Frauen mit Hauptschulabschluß ein geringes Spektrum an Ausbildungsmöglichkeiten offen.

Viele Mädchen entscheiden sich deshalb, an neun Jahre Hauptschule noch zwei Jahre Berufsfachschule zu hängen oder die mittlere Reife zu machen. Von 245 Lehrstellenbewerbern mit mittlerem Bildungsabschluß waren im Bezirk Büdingen 142 Mädchen. Auch im Bezirk Friedberg stellten sie mit 150 gegenüber 115 die größere Gruppe.

Ihr Interesse für einen handwerklichen "Männerberuf" zu wecken, sieht Gunther Seeger nicht als Aufgabe des Arbeitsamtes an. "Wir beraten nach den individuellen Fähigkeiten." Dabei räumt er ein, daß es nach wie vor "ein Risiko" ist, in eine Männerdomäne einzudringen und zum Beispiel Kfz- Mechanikerin zu werden. Seeger: "Das setzt viel Energie und Standfestigkeit bei den Mädchen voraus, denn noch immer haben sie es als Gesellinnen schwerer."

Durch Öffentlichkeitsarbeit bei den Innungen versuchen die Berufsberater, den Vorbehalten bei Meistern gegenüber weiblichen Lehrlingen zu begegnen. Auch in den Schulen sind sie aktiv, um das Interesse von Mädchen an gewerblich-technischen Ausbildungen zu fördern. Für Gunther Seeger liegt das Problem tiefer: "Solange Eltern ihre Mädchen nur mit Puppen spielen lassen und Jungen mit Baggern und die Erziehung geschlechtsspezifisch ausgerichtet ist, wird sich nicht viel ändern."

BAD VILBEL · KARBEN · ROSBACH · WÖLLSTADT · NIDDATAL · FLORSTADT IV

FR-Serie über "Mädchen im Handwerk" (Erster Teil) / Schon um zwei Uhr früh klingelt der Wecker bei den jungen Bäckerinnen "Ich wollte wissen, wie Brot entsteht" Alle entschieden sich bewußt für diesen Beruf / Keine Arbeit zum Reichwerden

BÜDINGEN. Eine Sechs-Tage-Woche, morgens um zwei Uhr aufstehen, im Sommer mitunter bei 65 Grad Hitze arbeiten: Für Kerstin Strack, Sandy Schimkus, Petra Thom und Alexandra Padberg keine Hindernisse, den Beruf zu ergreifen, in dem sie im Juni in der Büdinger Berufsschule die Gesellenprüfung ablegten: das Bäckerhandwerk. Die vier jungen Frauen im Alter zwischen 18 und 20, die dann, wenn andere noch fest schlafen, Weizenteig zu Kaiserbrötchen formen, Roggenmehl für "unser täglich Brot" abwiegen oder die Eier für die Biskuitrolle aufschlagen, vertreten ihre Entscheidung, in eine Männerdomäne einzudringen, selbstbewußt.

"Wir essen jeden Tag Brot und Brötchen, ohne viel darüber nachzudenken, wie wichtig diese Nahrungsmittel sind, und ich wollte einfach wissen, wie sie entstehen", erzählt Alexandra Padberg aus Hainchen. Sie hat es probiert und ist dabei geblieben. Sandy Schimkus, gebürtige Leipzigerin und jetzt wohnhaft in Büdingen, hat sich sogar über den Willen des Vaters hinweggesetzt. In ihrem Heimatort Wurzen bei Leipzig betreibt er eine große Bäckerei, riet seiner Tochter aber ab: "Das ist kein Beruf, der Geld bringt." Sandy Schimkus trat dennoch ihre Lehre in einer Bäckerei in Glauberg an, immer das Ziel vor Augen, Meisterin ihres Fachs zu werden und den väterlichen Betrieb einmal zu übernehmen.

Petra Thom hat zunächst einmal zwei Praktika in einer Kefenröder Bäckerei gemacht, bevor die Entscheidung fiel. Die Lehrstelle dann zu bekommen, war kein Problem: Auszubildende im Bäckerhandwerk sind gesucht. Der Lehrlingsmangel aber ist letztlich ein entscheidender Grund, daß die Meister in den Backstuben froh sind, daß sich Mädchen für die harte Arbeit am Stillkenofen oder der Rührmaschine interessieren.

Seit 1983, so ermittelten die Fachlehrer Rolf Graulich und Hartmut Kneip von der Büdinger Berufsschule, steigt die Zahl der weiblichen Auszubildenden. Gleichzeitig nimmt die Gesamtzahl der Lehrlinge im Bäckerhandwerk ab: von 29 im Jahr 1986 auf zwölf im Schuljahr 1991/92. Von den derzeit in der Bäckerinnung des Wetteraukreises vertretenen 43 Bäckermeister würden rund 20 sofort einen Lehrling einstellen.

Bis 1981 war kein Mädchen unter den 16 Berufsschülern der Branche, zuviel Vorbehalte hatten die Meister, daß ihre Auszubildenden nach der Lehre Heirat und Schwangerschaft als Zukunftsperspektive wählen könnten. Ein "Argument", das in vielen anderen "Männerberufen" die Tür für Mädchen verschloß und noch verschließt, galt in Backstuben mit angeschlossenem Verkaufsraum nicht: die fehlende Damentoilette. Denn die Auszubildenden für den Verkauf sind im Wetteraukreis bislang ausschließlich weiblich gewesen.

Seit 1988 stellen die Mädchen durchschnittlich 40 Prozent der Auszubildenden, im Schuljahr 1991/92 mit sieben von zwölf sogar die Mehrheit: 58,3 Prozent und damit fast 40 Prozent über dem Bundesdurchschnitt. In der Philipp- Reis-Schule in Friedberg waren Ende 1990 immerhin fast 30 Prozent der Bäkkerlehrlinge Mädchen. Gründe hierfür sehen die Oberstudienräte darin, daß Jungen immer weniger in "sozial niedrigen Ausbildungsberufen" arbeiten wollen und Mädchen nach Berufen suchten, die in der Nähe des Wohnortes auszuüben sind. Andererseits hätten die Meister die Erfahrung gemacht, daß Mädchen dieser Altersstufe in ihrem Verhalten "reifer und geschickter" seien, oft bessere Schulabschlüsse hätten und seltener aus den Verträgen ausscheiden würden.

Nach der Gesellenprüfung allerdings übten nurmehr etwa 50 Prozent der jungen Frauen das Handwerk aus. Graulich: "Viele gehen in die Industrie, denn dort steht der gelernte Bäcker im Ruf, pünktlich zu sein und schwer arbeiten zu können." In der Bevölkerung hingegen habe die Anerkennung des Handwerks deutlich abgenommen. An königlichem Hofe einst als Künstler geschätzt und geachtet, gelte der Bäcker heute nur noch wenig. "Was selbstverständlich ist, bekommt keine Anerkennung." Eine Erfahrung, mit der auch Kerstin, Sandy, Petra und Alexandra machen. Zwar hätten Freunde und Bekannte ihre Entscheidung akzeptiert, doch mit Blick auf das zu erwartende Einkommen mitunter den Kopf geschüttelt. 675 Mark haben sie im dritten Lehrjahr bekommen, mit 14 bis 15 Mark brutto können sie als Gesellinnen rechnen. Sandy: "Die Handwerksberufe sind total unterbezahlt." Konkurrenz mit Männern am Arbeitsplatz? Die vier Mädchen schütteln einig den Kopf. Man und frau arrangiert sich, und wenn "mir der Sack mit den 25 Kilo Backmittel zu schwer ist, dann bitte ich einen Kollegen um Hilfe", sagt Alexandra ohne zu klagen. Allerdings räumen die Mädchen ein, daß die vorgeschriebene Arbeitszeit von den Meistern nicht immer eingehalten würde. Und nicht ganz so positiv nimmt sich ein Argument aus, daß den Bäckerberuf für Mütter attraktiv machen soll: "So haben die Frauen ja Zeit, den Nachmittag mit den Kindern zu verbringen." Die Doppelbelastung bleibt außen vor.

Streng sind die hygienischen Auflagen, die es zu beachten gilt: Mit Ring und Armreif die Laugenbrezeln formen ist ebenso verboten wie mit offenem Haar an der Teigschüssel zu stehen. Sie gehören unter ein Schiffchen, das ebenso wie die Schürze zur vorgeschriebenen Arbeitskleidung in der Backstube gilt. Vorschriften allerdings, die für Männer wie Frauen gelten. CORINNA WILLFÜHR